Dialog und Gewaltlosigkeit

Leipzig (12.1.2015) „Keine Gewalt“ und „Wir wollen einen Dialog“. Das waren die zentralen Gedanken der Friedensgebete 1989. Es sind zentrale Gedanken des Friedensgebetes an diesem 12. Januar 2015. Leipzig ist weltoffen und tolerant. Die Stadt steht für Dialog: auch mit den Anhängern von Pegida.

Es ist Montag, 17 Uhr, in der Nikolaikirche zu Leipzig. Hier beten Woche für Woche Menschen verschiedener sozialer Gruppen für Frieden und Versöhnung. Seit den achziger Jahren tun sie dies. zumeist sind es nur wenige, die hierher finden. Und doch: hier ist ein Ort und eine Zeit, die sich stark in das Bewusstsein der Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus eingebrannt hat.

Der 9. Oktober 1989 gilt bis heute als wichtige Wegmarke am Weg zur friedlichen Revolution. Jahr für Jahr feiert die Stadt die mutigen Bürger von damals. Dabei erinnert sie auch an den berühmten Aufruf der Leipziger Sechs: „Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung.“ Flugblätter riefen damals zur Gewaltlosigkeit auf. Erst vor wenigen Monaten wurde der 25. Jahrestag begangen.

Zum ersten Friedensgebet 2015 ist die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. 1.500 Menschen drängen sich hier, 5.000 stehen auf dem Platz davor. Insgesamt werden an diesem 12. Januar 30.000 Menschen für Toleranz und eine weltoffene Stadt auf die Straße gehen. Die gesungenen Kirchenlieder wecken Erinnerungen an 1989, der Leipziger Sebastian Krummbiegel, Sänger der Band „Die Prinzen“, schlägt mit „Keiner ist illegal“ den musikalischen Bogen zur Tagespolitik und erntet Applaus. Seine Haltung zu Flüchtlingen hatte er im Oktober 2014 im ZDF so zusammengefasst: „Flüchtlinge sind eine Chance, keine Bedrohung. Lasst uns nach Gemeinsamkeiten suchen und nicht nach Dingen, die uns trennen.“

Pfarrer Bernhard Stief begrüßt die Teilnehmer. Zwei Ereignisse benennt er, die Menschen in dieser großen Zahl hierher führen: die Anschläge von Paris und die angemeldete Demonstration von Legida: „Wir sind erschüttert vom islamistischen Terror in der Welt. Wir sind erschüttert von dem brutalen Attentat in Paris. Wir sind erschüttert über das Ansinnen einer Gruppe, die in Leipzig unter fremdenfeindlichen Vorzeichen durch unsere Straßen spazieren gehen will.“ Im Lauf des Abends wird zur Gewissheit, dass der Ableger von Pegida hier keinen Erfolg hat – anders als in Dresden, wo gleichzeitig 35.000 Anhänger zusammenkommen.

Dennoch: keine Gegenveranstaltung soll das hier sein, sondern eine Demonstration der gemeinsamen Basis, auf der Dialog möglich und auch nötig ist. Leipzig solle eine weltoffene und tolerante Stadt sein und bleiben. Flüchtlinge, Vertriebene und Asylsuchende dürfen nicht zum Sündenbock für alles gemacht werden, was schief läuft. Viele sind selbst vor der Gewalt von Islamisten geflohen, so Stief.

So ist die erste Antwort auf fremdenfeindliche Parolen an diesem Abend die Gründung einer Ökumenischen Flüchtlingshilfe. Bereits zu Weihnachten wurde dieser Schritt angekündigt. Hilfe für Flüchtlinge ist eine christliche Kernaufgabe. Die Weihnachtsgeschichte und die Verkündigung Jesu werden von den Kirchen in dieser Weise verstanden:

„Die Geschichte von der Geburt Jesu steht uns neu vor Augen. In einem Notquartier erblickte er das Licht der Welt. Wenig später ergriffen seine Eltern mit ihm die Flucht vor Gewalt und Terror. Später sprach Christus davon, dass er uns in den „geringsten Brüdern“ begegnet, den Kranken, Hungernden, Gefangenen und Fremden (Mt. 25,35ff.).“

Die Sorge für Flüchtlinge ist der Prüfstein der Nächstenliebe. Dies wird immer wieder von Vertretern der Kirche betont: „Solidarität den Flüchtlingen gegenüber ist ein Wort, dass in der entwickelten Welt Ängste hervorruft. Die Verantwortlichen trauen sich allerdings nicht, das zu sagen. Es ist fast ein schmutziges Wort für sie. Aber es ist unser Wort“ unterstrich Papst Franziskus bei einem Besuch des Jesuit Resuit Service in Rom. Auch die evangelische Kirche teilt diese Sicht. Die biblische Begründung steht schon im Alten Testament:

„Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen.“ (3 Moses 19,33)

Christen sind in der Frage, wie sie mit Flüchtlingen umgehen, an das Wort Jesu gebunden, betont in seiner Predigt dann auch Superintendent Martin Henker.

Seinen biblischen Leitgedanken entnimmt er dem Matthäusevangelium. Zulassungskriterium zum Himmel ist für Jesus nach dieser Stelle die praktische Sorge um die Mitmenschen: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Mit Blick auf das Attentat von Paris ist für ihn klar, dass Religionen nicht für Hass und Gewalt stehen dürfen: „Wenn eine religiöse Überzeugung zur Rechtfertigung von Gewalt herangezogen wird, dann ist das eine pervertierte religiöse Überzeugung“

Mit Blick auf den Überfall auf die Polizeistation in Connewitz betont er, dass auch Polizei und Ordnungskräfte nicht das Ziel von Gewalt sein dürfen. Insgesamt fordert er dazu auf, Menschen, die ein öffentliches Amt bekleiden und die sich um Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, Frieden und Freiheit mühen, ernst zu nehmen und ihnen nicht Egoismus zu unterstellen.

Dann kommt Henker auf die Demonstranten von Legida und Pegida zu sprechen. Hier ruft er zu auf, die Sorgen und Ängste ernst zu nehmen. Mit Aufmerksamkeit und Respekt solle ihnen zugehört werden, um sie zu verstehen. Es sei falsch, sie pauschal zu diffamieren. Durch Dialog werde das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung untermauert und gestärkt. Im Dialog solle nach Lösungen für bestehende Probleme gesucht werden. Die Volkshochschule Leipzig will nach seinen Worten dafür ein offenes Forum anbieten: „Ich bitte alle dringend. Nutzen sie dieses Forum. Es gibt die Möglichkeit, seine Sorge auszusprechen und im Diskurs nach Möglichkeiten und Wegen zu suchen, die für unsere Stadt und unser Land zum Frieden führen.“

Oberbürgermeister Burkhardt Jung erinnerte abschließend noch einmal an die Rahmenbedingung, unter der Dialog möglich ist: „Die Würde des Menschen ist unteilbar.“ E.-U.K.