Mehr als pastorale Nettigkeit

Diakonissenkrankenhaus Leipzig
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Meine Perspektive auf Fiducia Supplicans

Es gibt in der Welt Suchende und Satte. 

Es gibt jene, die Fragen stellen und ihren Weg in den Brüchen ihres Alltags tastend gehen. 

Es gibt jene, die Angst haben, dass irgendetwas ihre heile Welt stören könnte und die sich deshalb an Strukturen und Gesetze klammern ...alte oder neue Strukturen und Gesetze...

In der katholischen Kirche ringen verschiedene Kräfte miteinander. Die einen möchten alte Strukturen aufbrechen und die Lehre so verändern, dass sie barmherziger ist. Die anderen fürchten jede Veränderung und pochen auf Tradition und Dogma.

Bischöfe in Afrika haben gerade erst betont, dass sie auf keinen Fall irreguläre Beziehungen segnen werden. Sie berufen sich darauf, dass die Kirche selbst diesen Weg der klaren Verurteilung lange Zeit gegangen ist. Wie kann jetzt etwas ok sein, was früher verurteilt wurde? 

Andere antworten: "Was Gott für rein erklärt hat, das nenne Du nicht unrein."[Apg 11,9]

Traditionalisten bezweifeln, dass Gott die Verbindung von zwei Männern oder zwei Frauen segnet. Sie berufen sich auf die Lehre. 

Die Spaltung durchzieht die ganze Ökumene. Auch Christen in Deutschland haben unterschiedliche Überzeugungen. Und die Gesellschaft insgesamt ist ebenfalls gespalten. 

Manche wollen den gordischen Knoten mit Macht durchschlagen. 

Die jüngsten vatikanischen Dokumente gehen einen anderen Weg. Ich finde diesen Weg gut. 

Die Lehre bleibt. Gleichzeitig wird die Bedeutung der Zuwendung zum Du gestärkt. 

Das ist nicht einfach pastorale Nettigkeit. 

Überzeugungen ändern sich nicht dadurch, dass Struktur und Lehre verändert wird. Die Begegnung mit dem Du verändert. 

Weder Liberale noch Konservative wissen letztlich, welches Verhalten mich persönlich zu Gott hinführt. Manche erwecken aber den Eindruck, genau das zu wissen. Darin sind sich Konservative und Liberale ähnlicher, als sie selbst zugeben würden. 


Niemand kann mir abnehmen, meinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Kein Gebot. Keine Struktur. Wir sind alle Suchende. 

Jesus wendet sich dem Menschen zu. Jesus akzeptiert die Strukturen und Gebote. Aber er blickt durch die Strukturen und Gebote auf den Menschen. 

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Gebt Gott, was Gottes ist. Mt 22,21

 Eigene Überzeugungen bleiben. Aber die liebevolle Zuwendung zum Du ist wichtiger als jedes Gebot.  

Ein kleiner Vergleich:

Es gibt die Aufforderung, viel Wasser zu trinken. Das ist eine sinnvolle Regel. Ich selbst trinke aber möglichst wenig. Meine Niere arbeitet nicht. Das Wasser würde sich im Körper ansammeln und den Kreislauf belasten. Wasser muss bei der Dialyse beseitigt werden. 

Regeln und Gebote versuchen, allgemeingültige Sätze zu formulieren. Der einzelne Mensch kann aber erkennen, dass für ihn andere Prioritäten wichtig sind.


Wenn ich einen Menschen segne, dann wünsche ich ihm, dass er seinen eigenen Weg zu Gott findet. Was auf diesem Weg hilft oder nicht, kann ich eigentlich von außen nicht wissen. 

Natürlich kann ich den anderen auffordern, mehr Wasser zu trinken. Es kann aber sein, dass dies dem anderen eher schadet als nützt. Der Segen verzichtet darauf, selbst zu entscheiden, was Sünde ist. Stattdessen legt der Segen den Menschen in Gottes Hand. 


In diesem Licht kann ich auch dann zwei Männer oder zwei Frauen segnen, wenn ich überzeugt bin, die beiden sollten keinen Sex haben. Ich segne, dass sich beide dem Du liebevoll und in Achtung vor den Grenzen des Du zuwenden. Was das konkret bedeutet, müssen beide selbst erkennen. Was tut Dir gut? Was tut mir gut? 


Kardinal Viktor Fernández ist seit einem Jahr Präfekt der traditionsreichen Glaubenskongregation. Sein Schreiben "Fiducia Supplicans" befasste sich mit dem Segen von irregulären Paaren. 

Dabei wird zuerst die Lehre bekräftigt, dass die Ehe zwischen Mann und Frau deshalb besonders gesegnet wird, weil aus dieser Verbindung neues Leben entsteht. Es gibt auch Ehepaare, die keine Kinder bekommen können. Ich weiß, wovon ich rede. 

Der pastorale Segen schaut auf andere Beziehungen, die nicht dem katholischen Muster entsprechen. Das Leben ist vielfältig und bunt. Jeder hat seinen eigenen Weg. 

Das kann eigentlich auch jener anerkennen, der überzeugt ist, den richtigen Weg zu kennen. 

Die Bibel ist voller Geschichten von Menschen, die Umwege und Irrwege gegangen sind. Wir sind alle Suchende. Deshalb lohnt es sich tatsächlich, zu hören, welche Erfahrungen der andere macht. Das kann die Selbstsicherheit von Konservativen und Liberalen in der Kirche aufbrechen. 

Im Segen lege ich den Weg von zwei Menschen in Gottes Hand, auch wenn ich selbst den Weg nicht verstehe. 


 "Diese Welt braucht Segen, und wir können Segen geben und Segen empfangen. Der Vater liebt uns, und alles, was uns bleibt, ist die Freude, Ihn zu lobpreisen und Ihm zu danken und von Ihm zu lernen, wie man segnet und lobpreist“[31]. Auf diese Weise wird jeder Bruder und jede Schwester spüren können, dass sie in der Kirche immer Pilger, immer Bettler, immer geliebt und trotz allem immer gesegnet sind." Fiducia Supplicans 45.

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