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Die Witwe von Sarepta

Hoffnung am Ort ohne Hoffnung

Gedanken zu 1 Könige 17

Fröhlich plantschen glückliche Kinder und  stolze Eltern im Wasser. Draußen regnet es und es wird langsam herbstlich kalt und neblig. Unter der Kuppel des Maya Mare in Halle genießen Familien eine Pause im Streß des Alltags. Warum kann das Leben nicht so bleiben? Nach zwei bis drei Stunden endet das Glück. Es geht hinaus in die Dunkelheit. Manchmal gelingt es, den Augenblick nachklingen zu lassen. Hört man genau hin, bemerkt man die Risse in den Beziehungen. Ein weinendes Kind. Ein Paar, das streitet. Meist fällt es nicht auf. Wir sind zwar alle an einem Ort, doch jeder kämpft allein und vermeidet, die Brüche anderen sichtbar zu machen. Doch tatsächlich sind wir alle verletzte Kinder.  Im Spaßbad gelingt es Mama, die Tränen zu trocknen. Alles ist gut, was gut endet.

Gott greift ein und alles wird gut. Der Ölkrug füllt sich immer neu und Brot ist auch ständig da. Der Sohn, schwer erkrankt, wird wieder gesund. Praise the Lord! (1 Könige 17)

So könnte man die Geschichte der Witwe von Sarepta erzählen und damit bedeutungslos machen. Es gibt für manche paradiesische Momente. Doch für  viele ist das Leben Leid. Seltsamerweise leben manche, die chronisch leiden, bewusster. Manche spüren, dass wir alle hier nicht wirklich zu Hause sind. Einen kurzen Moment in der Ewigkeit verbringen wir hier. Wir spielen mit Glasperlen am Rande des Nichts, als wären wir immer da. 

Die Geschichte aus dem Buch der Könige erzählt tatsächlich etwas von Erfahrungen, die auch heute noch lebendig sind. 

Die Witwe von Sarepta ist eine Frau, die aus dem normalen Alltag geworfen wurde. Ihr Mann ist tot. Sie ist Alleinerziehend. Ihr Sohn ist noch jung, er kann sie nicht unterstützen. Was bleibt von großen Träumen, wenn die Wirklichkeit hart und grausam wird?

Die Zukunft endet. Was bleibt, ist ein Ende in Würde. Noch einmal will sie für sich und ihren Sohn etwas zu essen machen und dann sterben. In dieser Situation tritt ein Fremder in ihr Leben. Er will zuerst Wasser und dann etwas zu essen. Und die Witwe? Sie spricht von ihrer Not, auch wenn sie nicht sieht, wie der Fremde helfen könnte. 

Glauben sieht den Spalt in der Tür. 

Jesus, der auf die überlieferte Geschichte der Witwe zurückblickt, scheint eine besondere Vorliebe für Menschen am Rande zu haben. Den Theologen, die zwar viel von Gott sprechen, aber wenig Ahnung vom Geheimnis des Glaubens haben, begegnet er dagegen eher misstrauisch:

"Sie fressen die Häuser der Witwen auf und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete! "(Mk 12, 40) 

 

Die Versorgung der Witwen ist in der Antike ein großes Problem. Frauen, denen der Mann gestorben ist, stehen vor dem Abgrund. 

Ja. es wird tatsächlich zunächst gut in Sarepta, doch dann erkrankt der Sohn. Wie viel kann ein Mensch ertragen, ohne zu zerbrechen? Im Haus der Witwe fällt ein Satz, der an die Frau von Hiob erinnert: Was hab ich mit dir zu schaffen, du Mann Gottes? Du bist zu mir gekommen, dass meiner Sünde gedacht und mein Sohn getötet würde.

Es gibt Menschen, denen die schweren Brüche erspart bleiben. Zumindest scheint das so. Glückliche Paare mit  ihren gesunden Kindern plantschen in einem Spaßbad bei Leipzig. Draußen ist es kalt, doch hier könnte der Augenblick ewig dauern. 

Mancher spricht von Gott, wenn es ihm gut geht. Ihr Glück ist ihnen Garant der Nähe Gottes. Vertrau auf Gott und alles wird  gut. Die moderne Variante ohne Gott lautet so: Treffe die richtigen Entscheidungen, wähle die richtigen Freunde, den richtigen Job und lege Dein Geld gut an. Erziehe Deine Kinder richtig, dann wird alles gut. 

Die Kampfschrift gegen jene, die daran glauben, man müsse nur den richtigen Weg wählen, dann werde alles gut, ist das Buch Hiob. Das ist jener fromme Mann, der seinen Weg perfekt plant, alles gut  durchdenkt, perfekte Kinder hat und dann alles verliert. 

Sarepta lag in Phönizien an der Küste des Mittelmeeres. Die Witwe ist keine Israelin. Das betont Jesus an einer Stelle im Neuen Testament (Lk 4,26). Jesus ist in seiner Heimat, doch es gelingt ihm nicht, mit seiner Botschaft gehört zu werden. Es scheint ihm schlüssig, dass das passiert. Wer sich fremd und ausgestossen fühlt, sieht oft klarer, was im Leben wesentlich ist. 

Eliah ist das, was man einen Unglückspropheten nennen kann. Menschen, die warnen, sind unbeliebt. Eliah hat eine Trockenzeit ohne  jeden Regen angekündigt. Er ist sozusagen der Überbringer der schlechten Botschaft. Ausgerechnet er geht nun zur Witwe und bittet um Wasser. Eliah fühlt sich in seiner Rolle sichtlich unwohl. Das wird deutlich, als schließlich auch der Sohn der Witwe mit dem Tode ringt. Nicht nur die Witwe hadert mit Gott, auch der Prophet. 

Gib mir Wasser! Diese Bitte begegnet auch im Neuen Testament. Wieder ist es eine fremde Frau, der die Bitte am Jakobsbrunnen (Joh 4,7) begegnet. Jesus bittet um Wasser. Die Geschichte endet mit einer Selbstoffenbarung Jesu. Wo Menschen sich begegnen, können neue Wege beginnen. Die Bitte um Wasser bildet den Auftakt für eine befreiende Perspektive. Türen in scheinbar hoffnungsloser Lage öffnen sich. Das ist die eigentliche Aufgabe von Seelsorge. 

Die Versuchung, in biblischen Texten nur die Heilung zu sehen, ist groß. Der Blick auf Hiob zeigt, es kann auch sein, dass zunächst der Tod siegt:

Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, 19 und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, dass sie starben, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte.  (Hiob 1,18)

Die verwandelnde Kraft des Glauben beginnt dort, wo Menschen erkennen, dass sie in jeder Situation getragen sind. Viele spüren: der Tod hat nicht das letzte Wort, sondern das Leben. 


Der alles geschaffen hat lässt nicht los, was geliebt ist. 

Der alles geschaffen hat, bleibt über den Tod hinaus treu. 

Aus dem einen Wort, das die Schöpfung in die Realität rief, ist eine Symphonie geworden. Manchmal ahne ich sie. Manchmal höre ich nur Dissonanz. Doch der Komponist arbeitet noch. 

Die Geschichte vom gewaltsamen Tod Jesu unterstreicht dieses Vertrauen, dass über den Tod hinaus Hoffnung schenkt. 

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