Zeitgeist

zu Apg 10,34 ff.

Der Heilige Geist kommt auch auf die Heiden herab. WAAAAS? Das geht doch nicht! Erstmal müssen die sich beschneiden lassen! Das ist doch eindeutig Gottes Willen und steht so in der Schrift!

Und doch wirken die Heiden geisterfüllt. Die Erfahrung führt zu einer neuen Deutung der Schrift. Das hätte auch anders laufen können. Etwa so:

 

Die Taufe, durch welche der Einzelne in den Leib Christi  eingegliedert wurde,  war in der Kirche von Anfang an ausschließlich Beschnittenen vorbehalten. Nun gibt es manche, die sagen, dass Heiden den Heilige Geist empfangen haben und nun ohne Beschneidung getauft werden sollten.  

Zwar mögen solche subjektiv empfinden, den Heiligen Geist empfangen zu haben. Aber ein solches Empfinden, so edel und verständlich es auch sein mag, stellt noch keine Berufung dar und kann deshalb nicht ohne Beschneidung zur Taufe führen. Da die Taufe ein besonderes Sakrament Christi ist, von dem die Kirche die Verantwortung und Verwaltung empfangen hat, ist hier die Bestätigung durch die Kirche unerläßlich.  Außerdem ist die Taufe ja keine Funktion, die man zur Hebung seiner sozialen Stellung erlangen könnte. Kein rein menschlicher Fortschritt der Gesellschaft oder der menschlichen Person kann von sich aus den Zugang dazu eröffnen, da diese Sendung einer anderen Ordnung angehört. Zugang zur Taufe aber kann es nur geben für Beschnittene. Denn Jesus sprach: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken, daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Unbeschnittenen die Taufe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben. 

 

Dieser Weg des Verurteilens hätte freilich die Erfahrungen einer Gruppe nicht ernst genommen und hätte deshalb zur Spaltung geführt. 

Stattdessen wird anerkannt, was naheliegend ist und der konkreten Erfahrung der Gemeinde entspricht: Der Heilige Geist wirkt in diesen Personen, ohne dass sie beschnitten sind. Der Geist wartet auch nicht auf die Taufe, um zu wirken.

 

Erfahrungen führen allerdings (verständlicherweise) nur dann zum Umdenken, wenn derjenige glaubwürdig ist, der die neue Richtung begeht. Andernfalls bleibt man lieber auf dem vertrauten Weg. Ich vertraue der Person X, weil ich sie für glaubwürdig halte. Glaubwürdigkeit ist allerdings nur schwer zu objektivieren. Ein anderer wird der Person X nicht vertrauen.

 

Im Beispiel aus der Apostelgeschichte müssen die vom Geist erfüllten nicht beschnitten werden, weil Petrus das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der versammelten Gemeinde hat, dass er den richtigen Weg gehen wird.  Nach Gal 2,11-21 hat freilich Paulus einen wichtigen Anteil daran, dass Heiden nicht erst Juden werden müssen. Petrus hätte von sich aus erst beschnitten, dann getauft. Erst die Einigung zwischen Petrus und Paulus verhindert den Bruch.  Die wechselseitige Vertrauen zwischen Petrus und Paulus erhöht und festigt ihre Glaubwürdigkeit bei der Gemeinde und die Glaubwürdigkeit der Gemeinde in der Welt.   

 

Ernst-Ulrich Kneitschel