Vom Schmerz der Trennung und der Notwendigkeit der Nähe

Ernst-Ulrich widerspricht Paulus und gibt ihm teilweise doch Recht

Ernst-Ulrich, Sohn von Vertriebenen, durch Gottes Gnade und Weisheit der Medizin immer noch auf dieser Erde unterwegs, Ehemann, Vater und Christ, nicht unüberlegt sondern in bewusster Entscheidung an den Völkerapostel Paulus, der einst Petrus widersprach. 

Sehr geehrter Paulus!

Eigentlich bin ich ein begeisterter Leser Ihrer Briefe. Sie sind sehr differenziert in Ihren Aussagen. Sie betonen die Freiheit und wissen auch, dass Freiheit und Verantwortung zusammenhängen: Alles ist erlaubt, aber nicht alles nützt.(1 Kor 10,23) Sie wissen, dass Gott Sünden vergibt, aber dass dies kein Grund sein kann, nun bewusst zu sündigen.(Gal 5,13)  Bei Hochzeiten wird gerne 1 Kor 13 zitiert, Sie wissen schon:

"Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle."

Sie haben einen höheren Anspruch an Liebe als verliebtes Verlieren in den Augen des Du... so schön das ist. 

Manche Stellen haben eine Eigendynamik entwickelt. Erinnern Sie sich noch an diese Stelle: die Frau soll in der Gemeinde schweigen? Ich vermute ja, da ging es um eine konkrete Frau in einer konkreten historischen Gemeinde, die ständig reingerufen hat. Solche Situationen und solche Männer und Frauen nerven. Sie ahnen ja nicht, was die Menschen in Ihre Texte hineininterpretiert haben. 

Mir geht es heute um diesen Text, der in der katholischen Kirche am vierten Sonntag im Jahreskreis gelesen wird  (Lesejahr B / 31. Januar 2021)  

 

Ich wünschte, ihr wäret ohne Sorgen.

Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn;

er will dem Herrn gefallen.

Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt;

er will seiner Frau gefallen.

So ist er geteilt.

Die unverheiratete Frau aber und die Jungfrau

sorgen sich um die Sache des Herrn,

um heilig zu sein an Leib und Geist.

Die Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt;

sie will ihrem Mann gefallen.

Dies sage ich zu eurem Nutzen:

nicht um euch eine Fessel anzulegen,

vielmehr, damit ihr euch in rechter Weise und ungestört

immer an den Herrn haltet.

 

Ich atme mal tief durch, zünde eine Kerze an und schlafe eine Nacht darüber. (Ps. 4,5) Wo soll ich anfangen? Zunächst einmal möchte ich zugeben, dass mich der Text aufregt. Und das ist ja schon mal in Ihrem Sinn.

Ein Text, der nicht aufwühlt, vermag den Leser  auch nicht zu verändern. 

Anfang 2020 kam meine Frau zu Ihnen in den Himmel. Ich weiß nicht, ob es schon zum Gespräch zwischen Ihnen und meiner Frau gekommen ist. Sie hatte ein paar Kritikpunkte an Ihren Texten. Mein Vater, der 1988 bei Ihnen eingezogen ist, übrigens auch. Ein tiefgläubiger Familienvater, der täglich mehrfach betete und auch Ihre Briefe gelesen hat. Kurz gesagt: er diente Gott ungeteilt. Und das wissen Sie auch!

16 Jahre war ich verheiratet. Meiner Frau war stets wichtig, dass ich mich um die Sache des Herrn kümmere. Warum? Weil Sie merkte, dass ich für sie und die Kinder nicht da sein kann, wenn ich nicht meinen Glauben an Gott in den Mittelpunkt stelle.

Ich habe dagegen eine unverheiratete Bekannte, die endlich einem Mann gefallen will und bis dahin mit Gott hadert. Ich würde sagen, sie sorgt sich sehr um die Dinge der Welt. Mancher Priester, Bischof und so mancher Papst ist ebenfalls in den letzten Jahrhunderten sehr besorgt gewesen, was sein Ego in der Welt betrifft. Pardon...

Nun weiß ich ja, dass Sie ein Fan der Ehelosigkeit sind. Und meine Frau hat Ihnen vielleicht schon gesagt, dass ich auch unverheiratet bleiben will. Da folge ich Ihrer Empfehlung. Wobei andere vielleicht tatsächlich besser wieder heiraten sollten. Sicherlich fehlt auch manchem Priester diese Erfahrung. Andere sind mit Leib und Seele Ehelos und dabei glücklich. Jeder so, wie es ihm im Innersten richtig erscheint und wie er berufen ist. 

Trotzdem denke ich, ich muss da ein paar mögliche Missverständnisse ausräumen:

1. Das Geheimnis einer langjährigen Beziehung ist nicht Sex, sondern Zeit füreinander. So manches Ehepaar lebt aus unterschiedlichsten medizinischen, psychologischen oder praktischen Gründen zölibatär, nicht nur zeitweise, sondern mitunter dauerhaft. Es gibt unterschiedliche Formen der Nähe.  Und viele Paare sind sich durch Krisen seelisch viel näher gekommen als sie es je durch den besten Sex hätten sein können. Solche Verbindungen bleiben auch über den Tod hinaus prägend und beeinflussen künftige Begegnungen. Mancher Witwer verliebt sich zwar neu, aber die Geliebte merkt rasch, dass sie keine ungeteilte Liebe erwarten kann. 

 2. Ehelosigkeit bedeutet nicht Beziehungslosigkeit. Es ist nicht gut wenn der Mensch allein ist. (Gen 2,18-24) Wer könnte das besser erklären als jene Heiligen, von denen die katholische Kirche weiß, dass für sie Ehelosigkeit und Liebe zu konkreten Menschen kein Widerspruch ist.  Reden Sie mal zum Beispiel mit Teresa von Avila und ihrem Freund Jeronimo Gracian oder Therese von Lisieux, Kirchenlehrerin und ihrer Schwester Celine Martin. Für viele Zölibatäre ist Zärtlichkeit eben etwas anderes als Sex. Auch wenn das manche konservative Christen nicht hören wollen und manche Liberale gleich die Abschaffung des Zölibats fordern.  Manche Beziehung wurde daher vor den Augen der Welt, die so gerne richtet, verborgen gehalten. 

3.Corona lehrt uns, nochmal neu darauf zu achten, wie wir Menschen begegnen. Es gibt liebevolle Begegnungen ohne Berührungen. Es kann sogar Ausdruck tiefer Liebe sein, einen Menschen nicht zu umarmen. Es gibt körperliche Berührungen, die lieblos und selbstsüchtig sind.  Wir sind zu achtlos im Umgang mit anderen und haben verlernt, anderen so körperlich nahe zu sein, dass wir auch ihrer Seele nahe sind. So wenden wir uns dann stürmisch dem Körper des geliebten Menschen zu, um dann bei einer Trennung die eigene Seele und die Seele des anderen zu verletzen. Zärtliche Nähe ist schön, braucht aber eine gewachsene Vertrauensbasis.

 

Wahrscheinlich geht es mir so wie Ihnen, sehr geehrter Paulus und uns allen. Wir schreiben aus unserer Erfahrung heraus. Briefe sind daher immer auch Einladungen zum Perspektivwechsel. Prüfen Sie alles, widersprechen Sie da, wo ich irre und dann behalten wir das Gute und kümmern uns um die Sache des Herrn!

 

Ich grüße Sie mit dem heiligen Kuss (2 Kor 13,12 leider konnte mir keiner sagen, wie der ausgeführt wird...vielleicht belassen wir es bei einer Verbeugung, je nachdem, was Ihnen passend erscheint. Für mehr Nähe kennen wir uns einfach nicht gut genug)

 

Ernst-Ulrich Kneitschel

 

Literatur: Liebesbriefe hinter Klostermauern. Zeugnisse geistlicher Freundschaft. Herausgegeben und eingeleitet von Sabine B.Spitzlei. 

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