Die Perspektive der Mutter Jesu

Gedanken zum Marienmonat

Jesus selbst hat kein Buch geschrieben. Wir begegnen ihm in den Perspektiven anderer: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes. Aber auch Paulus und andere unbekannte Koautoren. 

In der Tradition der Kirche war es früh beliebt, zu versuchen, die Perspektive der Mutter auf Jesus zu verstehen. 

Das ist nicht immer gelungen und manchmal auch erschreckend schief gelaufen. Marienkirchen auf den Trümmern von Synagogen sind Ausdruck solcher Irrwege, die direkt in die Katastrophe führten. 

Maria eignet sich nicht für Begründung von Feindschaft. Das gilt sowohl zwischen den Konfessionen als auch zwischen Religionen. 

Maria begegnet uns als Frau, die vor allem hört. Und aus dieser Fähigkeit zum Hören wird sie zur engagierten Sprecherin, die dann durch pointierte Statements auffällt. 

Was er euch sagt, das Tut! (Joh 2,5)

„Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19). Sie ist unverheiratet und erwartet ein Kind. Von Joseph ist es nicht. Und auch sie selbst weiß nicht, was mit ihr geschehen ist. Das ist der Beginn des Christentums. Jesus wächst nicht in einer klassischen bürgerlichen Familie auf mit den leiblichen Eltern. Seine Existenz verdankt er einer Singularität, die zunächst einmal dem katholischen Ideal widerspricht. Die Gebrochenheit des Beginns wird allein aufgefangen vom Vertrauen in einen Sinn, der am Ende stärker ist als Leid und Tod. 

Mein Blick fiel - wahrscheinlich autobiographisch bedingt - auf das Jawort des Joseph. Er ist nämlich garnicht der tatsächliche, biologische Vater. Maria ist nach dem Zeugnis der Evangelien durch eine Singularität Mutter geworden. Jesus ist damit eben nicht in einer klassischen, bürgerlichen Familie aufgewachsen, in der das Kind durch einen Zeugungsvorgang seiner Eltern entstand. Also im katholischen Sinne defizitär. Was Jesu Leben ermöglichte, war tatsächlich das Ja zum Leben, ein Geschenk der Liebe, geboren aus Gott, der Beziehung ist und Beziehung schenkt. 

„Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19)

Sie hatte einiges zu verdauen. Und doch trägt sie ihr Ja durch. Gegen Widerstände durch Gesellschaft und Religion. Maria begegnet in den biblischen Texten immer wieder. Sie bleibt sogar unter dem Kreuz. Und sie hält Gemeinschaft mit den Frauen und Männern, die auch nach Jesu Tod seine bleibende Nähe leibhaftig erfahren haben.