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Tag der Entscheidung

Begegnung mit dem DU

Am 23. Mai 2005 erreichte ich das erste Mal das Haus Hoheneichen. Hier wollte ich, begleitet von einem Jesuiten, meinen weiteren Weg planen. Es regnete auf der Fahrt hierher in Strömen. Dresden war ungastlich. Es gab für einen katholischen Theologen kaum Stellen. War es nicht viel logischer, sich im Westen zu bewerben? Dort, wo die großen Kirchen stehen? Stattdessen hatte ich entschieden, dass mein Weg in den Osten führt. Leipzig war mir schon 1989 aufgefallen. Wem nicht? Doch nun hatte ich mich auch noch verliebt. Ich musste hier sein. 

Na gut. Martina hätte auch eine Stelle im Westen suchen können. Sie hatte ihr Examen mit besten Noten abgeschlossen. Doch auch sie hatte zielsicher, den Osten gewählt. 

Doch nun regnete es. In der Ferne rollte der Donner. Es gab kleinere Tätigkeiten, aber keine dauerhafte Anstellung. Die Promotion war zum Hemmschuh geworden. 

Ich stieg aus. Es hörte auf, zu regnen. In der Wiese entdeckte ich ein vierblättriges Kleeblatt. Das war mir noch nie geschehen. Gab es doch Hoffnung?  

Eine sehr einfache Kapelle zog mich in ihren Bann. Ein schlichter Holzklotz. Ein lichtdurchflutetes Dach. Mein Tagebuch notiert: "Schüchtern blickte Gottes Gegenwart in den Raum. Er hält sich zurück. Sein Name wurde arg missbraucht, auch von Christen. Nun bleibt er verborgen." 

Am nächsten Tag male ich ein Bild. Mein Lebenslauf. Bereits 2005 scheint es mir reich an Brüchen. Wenige Tage später notiere ich dazu: "Wer in der Wüste war, darf reden." Woher kam das spöttische Lachen: Echt, Ernst-Ulrich? Tod des Vaters, Krankenhausaufenthalte, Dialyse und Transplantation bezeichnest Du als Wüste? Da geht noch mehr! 

Am 23. Mai 2021 war ich nochmal dort. Zuvor besuchte ich das Kloster Marienstern. Wieder regnete es. Auch im Biergarten. Doch ich wurde freundlich empfangen und ins Trockene gebeten. Durch die Wolken brach ein Strahl der Sonne. Und mir schien, als sei ich nun erst angekommen.  Eine Oase in der Wüste. Das ist Berufung. Im Innersten zu wissen, dass man an einem Ort oder in einer bestimmten Tätigkeit sein muss ... auch wenn zunächst alles dagegen spricht. 

Mit Wüstenerfahrungen beschreibe ich Situationen, in denen ich loslassen musste. Gott könne nur gefunden werden, wenn man anderes loslässt. Loslassen ist schmerzhaft. Hiobs Frau empfiehlt nicht ganz zu unrecht, er solle Gott verfluchen. Hiob dagegen hält das einzige fest, was er im Sturm noch hat: seinen Glauben. Das macht den Schmerz nicht kleiner. Aber es gibt dem Schmerz einen unverwüstlichen Adressaten. Glaubende haben in Jahrtausenden erlebt, dass die Dinge und Menschen, die sie loslassen mussten, tatsächlich nicht verloren waren. Glaubende spürten, dass sie nur für diese Welt tot sind. Am Ende siegt das Leben! Das eigentliche kommt noch. Vertröstung? Glaubende erleben hier und jetzt, dass dieses Leben nicht die ganze Wirklichkeit ist. Manche verleitet das zur Weltflucht. Anderen gab es Kraft, die Gegenwart zu ertragen und zu gestalten. 

Johannes Paul II hat die Diskussion zum Frauenpriestertum für beendet erklärt. Derselbe Papst hat Therese zur Kirchenlehrerin ernannt. Die französische Heilige schaffte das Kunststück, im Herzen der Kirche  ihrer Berufung treu zu bleiben ohne sie aufzugeben. In den Akten zum Heiligsprechungsverfahren steht: 

 "Als sie sich 1897 bewußt war, daß sie Lungentuberkulose hatte, sagte sie: ,Der liebe Gott ist im Begriff, mich in einem Alter zu sich zu nehmen, da ich noch nicht die Zeit gehabt hätte, Priester zu sein . . . Wenn ich hätte Priester werden können, hätte ich in diesem Juni die heiligen Weihen empfangen. Was tat also Gott? Damit ich nicht enttäuscht würde, ließ er mich krank werden. Auf diese Weise konnte ich nicht dabeisein, und ich sterbe, bevor ich mein Amt ausüben könnte.'"

Christliche Berufung ist aber eher Evolution als Revolution. Und so deutete sie ihren Platz. Wer Jesus bereits im Herzen trägt, muss nicht um Ämter kämpfen. Die Diskussionen um kirchliche Dogmen und Ämter mögen in der Gegenwart ihre Bedeutung haben. Berufung aber hat die Ewigkeit im Blick